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Kommentar zur Studie von Floco Tausin


DAS BEWUSSTSEIN SEHEN

Geschrieben von Floco Tausin am 23. November 2005 18:29:30:

Als Antwort auf: Klinische Studie über die Pars-plana-Vitrektomie bei Glaskörpertrübungen geschrieben von Floco Tausin am 23. November 2005 18:27:54:

Kommentar:

Mouches volantes werden in dieser Studie nicht in einem Atemzug mit Komplikationen im Auge in Verbindung gebracht, wie dies teilweise in der früheren Literatur geschieht. Hier ist ganz klar von harmlosen Mouches volantes die Rede, welche als „idiopathisch“ bezeichnet werden, d.h. subjektiv störend bzw. krankhaft einzig für den Patienten sind. Denn der objektive Befund über Trübungen in einem Auge entspricht in den meisten Fällen nicht der viel stärkeren subjektiven (negativen) Empfindung des Patienten.

Früher unterstellten die Ärzte solchen Patienten „Somatisierung“ (psychische Leiden drücken sich körperlich aus) bzw. „Aggravation“ (Krankheitserscheinungen werden übertrieben dargestellt). Die Durchführung einer Vitrektomie allein wegen Mouches volantes schien übertrieben und der Nutzen stand in keinem Verhältnis zu den Risiken. Ein Patient, der sich an seinen Mouches volantes störte, war somit ein Fall für die Psychiatrie.

Die Aufwertung des Subjektiven
In den letzten Jahren häufen sich in der Augenheilkunde die Stimmen, eine Vitrektomie vorwiegend aufgrund der „subjektiven Befindlichkeit“ des Patienten durchzuführen. In solchen Fällen wird die Vitrektomie zu einer Art Schönheitsoperation; die Mouches volantes reihen sich in die traurig lange Liste körperlicher Schönheitsfehler ein und erzeugen so wie die zu krumme Nase oder die abstehenden Ohren einen „subjektiven Leidensdruck“, welcher in unserer modernen Gesellschaft offenbar ein ernstzunehmendes Kriterium für einen chirurgischen Eingriff ist.

Woher kommt dieser Wandel? Zwei Gründe scheinen mir wichtig: 1) Die Weiterentwicklung der Medizintechnik; und 2) die Nachfrage der Patienten, die aufgrund von bestimmten, durch die Medizin geprägten gesellschaftlichen Vorannahmen und Wertvorstellungen zustande kommt. Auf diese beiden möchte ich näher eingehen:

1) Technischer Fortschritt
Die Technik der Vitrektomie hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt: Die Komplikationen und Nachwirkungen der Operation sind laut neusten klinischen Studien weniger haarsträubend als früher. Die Resultate der vorliegenden Studie sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen: Es wurden nur eine kleine Anzahl von Patienten aufgrund bestimmter Kriterien ausgewählt, und die Patienten wurden im Nachhinein mittels Fragebogen zu ihrer subjektiven Befindlichkeit befragt. Die Schlussfolgerung der Studie, dass die Vitrektomie eine „sichere und effektive Behandlungsmethode bei störenden Glaskörpertrübungen“ sei, ist angesichts der noch immer auftretenden Nachwirkungen übertrieben: Verschlechterungen der Sicht aufgrund von Trübungen und Verhärtungen der Hornhaut und der Linse, Druckerhöhung im Auge sowie ernstere vitroretinale Komplikationen können auftreten. Zudem können laut Patientenberichten und Ärzten (nicht in dieser Studie) auch nach durchgeführter Vitrektomie erneut Mouches volantes erscheinen, da der Glaskörper nicht ganz, v.a. nie bis ganz an die Netzhaut heran entfernt werden darf.

2) Wert- und Idealvorstellungen gegen Mouches volantes
Die Nachfrage an einer „Lösung“ des „Problems“ der Mouches volantes basiert auf bestimmten gesellschaftlichen Vorannahmen und Idealvorstellungen, welche die jeweiligen Menschen zu einem grossen Teil verinnerlicht haben. An solchen Vorstellungen ist auch die Medizin nicht unschuldig: Mouches volantes werden als „Anomalien“ wahrgenommen, d.h. als Abweichung von der Norm bzw. von einem Idealzustand. Solche Abweichungen werden ausschliesslich negativ bewertet und verlangen nach Behandlung – selbst wenn es sich nach ärztlichem Befund nicht um eine Krankheit handelt. Die chirurgische Entfernung des Glaskörpers wird hier zu einer psychologischen Behandlung: Es ist der Versuch eines Menschen, die Norm bzw. die Ordnung in seiner kleinen Welt wiederherzustellen, welche durch eine „Anomalie“, nämlich die Mouches volantes, bedroht wird.

Bedenklich ist, dass die zunehmend propagierte Vitrektomie-Behandlung dem Mouches-volantes-Patienten erlaubt, dieses psychische Problem zu kaschieren: Sie bestätigt indirekt, dass das Leiden des Patienten „real“ ist und nicht nur „imaginiert“, d.h. eben vom Chirurgen, nicht vom Psychiater behandelt werden muss. Im Klartext: Wer wegen Mouches volantes zum Psychiater geht, könnte als „Idiot“ gelten; wer damit zum Chirurg geht, gilt höchstens als „Idiopath“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die in der Studie genannte Feststellung, dass sich Akademiker im Verhältnis zur Schweizer Gesamtbevölkerung doppelt so häufig an den Mouches volantes stören, wie Angehörige anderer Berufsgattungen. Liegt dies daran, dass die Akademiker aufgrund ihrer intensiven Lesetätigkeit entsprechend auf einen „klaren Blick“ angewiesen sind, wie die Autoren vermuten? Oder ist es nicht eher die Vorliebe für eine pedantische „Ordnung“, welche bei auch kleinen Abweichungen das psychische Wohlbefinden bei so manchem Vertreter der intellektuellen Elite empfindlich beeinträchtigt?

Fazit: Betrachtung der Mouches volantes – eine ideologische Frage
Der springende Punkt ist der: Wenn selbst die Augenärzte die subjektiven Aussagen ihrer Patienten höher gewichten müssen als das, was sie mit ihren Messgeräten selbst feststellen können, wird die Frage, was Mouches volantes sind, eine rein ideologische Frage. Und damit gewinnt die Aussage des Sehers Nestor neues Gewicht: Ihm zufolge handelt es sich bei den Mouches volantes um erste Erscheinungen einer leuchtenden Bewusstseinsstruktur; diese Punkte und Fäden leuchten durch vermehrte Energieabgabe auf, welche spürbar ist als ekstatisches Prickeln. Dies ist der visuelle Aspekt der Bewusstseinsentwicklung.

Auch hier haben wir es mit einer subjektiven Aussage zu tun, die objektiv nicht überprüfbar ist. Trotzdem fällt es den meisten Menschen unendlich schwerer, Mouches volantes als leuchtende Bewusstseinsstruktur zu verstehen, denn als störende Verklumpungen im Auge. Was sie daran hindert, die These von Nestor auch nur in Erwägung zu ziehen, ist nicht so sehr die Tatsache, dass ihnen die Mouches volantes als störende Trübungen erscheinen und nicht als leuchtende Struktur; sondern dass sie sich schlicht nicht vorstellen können, dass aus ihren störenden Trübungen bei konsequent angewandten bewusstseinsfördernden Übungen eine leuchtende Struktur werden kann.

Der erste Schritt auf dem Weg der Bewusstseinsentwicklung ist somit eine ideologische Entscheidung, nämlich die Entscheidung für ein entsprechendes Weltbild, welches mit „Anomalien“ wie den Mouches volantes etwas Kreativeres anfangen kann, als der operative Versuch sie abzusaugen. Weltbilder eröffnen oder verschliessen ganze Welten.

Floco Tausin


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