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Mouches volantes als Inspirationsquelle für Carlos Castaneda? - Teil 1


DAS BEWUSSTSEIN SEHEN

Geschrieben von Floco Tausin am 04. Februar 2006 11:44:32:

Kokons und Fasern – Leuchtkugeln und Leuchtfäden
Mouches volantes als Inspirationsquelle für Carlos Castaneda?

Teil 1: Die subjektiven visuellen Phänomene

Die Wahrnehmung von sich bewegenden Flecken, Schatten, sowie kugelförmigen und fädenartigen Gebilden, die auf Mouches volantes hinweisen können, ist in den Büchern von Castaneda keine Seltenheit. In diesem ersten Teil betrachten wir die Beschreibungen und kontinuierliche Ausarbeitung dieser subjektiven visuellen Phänomene, namentlich die Flecken und Schatten, die Goldenen Blasen, die leuchtenden Eier und Kokons, die Linien der Welt sowie die Fäden, Fasern und Bänder.


1) Flecken und Schatten

Flüchtige Flecken und Schatten bezeichnen grundsätzlich solche Objekte, die der Betrachter nicht richtig erkennen kann. Dies trifft sowohl auf die Mouches volantes zu, die teilweise als diffuse Flecken, Schatten oder dunkle Wolken erlebt werden; und es trifft auf flüchtige Wahrnehmungen bei CC zu. CC sieht immer wieder Schatten, die DJ jeweils als irgendwelche Wesenheiten erklärt, sei es der Tod, der Verbündete oder andere Geister. Typisch ist jene Stelle im zweiten Buch, wo CC im Feuer ein flüchtiger Fleck wahrnimmt, der mit grosser Geschwindigkeit von rechts nach links huscht; bei erneutem Hinsehen gleitet derselbe Schatten von da wieder zurück. Diese Erscheinung, deren Bewegung an die Mouches volantes erinnert, wird von DJ als „Geist“ erklärt, und später bezeichnenderweise als „Blase“.

Erwähnenswert ist zudem der sogenannte „Flieger“, der einzig im zehnten Buch „Das Wirken der Unendlichkeit“ beschrieben wird. Der Flieger sei angeblich ein räuberisches Wesen, das sich von der Bewusstseinsenergie der Menschen ernährt. Dieses „anorganische“ Wesen kann als flüchtigen Schatten wahrgenommen werden, der durch die Luft „hüpft“ oder „springt“. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Interview mit den drei „Chacmool“-Frauen (Beschützerinnen der alten Linie der Zauberertradition, gleichzeitig aber Übersetzer der alten Zauberkunst in eine moderne Sprache) Kylie Lundahl, Reni Murez und Nyei Murez, erschienen im Magazin „Kindred Spirit“, 1, Juni 1995: Angesprochen auf das „räuberische Universum“ erklären sie, dass diese sogenannten Flieger manchmal als „floaters“ (engl. für Mouches volantes) im Auge erklärt werden.
Allerdings deckt sich die Beschreibung der Flieger kaum mit den Mouches volantes: Der gravierendste Unterschied ist wohl, dass die Flieger als grosse undurchdringliche Schatten beschrieben werden und nur im Dunkeln gesehen werden können, während wir für die Wahrnehmung der transparenten Mouches volantes ein gewisses Mass an Licht brauchen. Doch diese Antwort zeigt, dass die Leute um Castaneda (und damit höchst wahrscheinlich auch Castaneda selbst) mit dem Phänomen der Mouches volantes vertraut sind.
Das Konzept der räuberischen Flieger begann im letzten Lebensabschnitt von CC („Workshop-Zeit“) eine prominente Rolle zu spielen, wie den Workshop-Protokollen und Texten auf www.sustainedaction.org entnommen werden kann. CC soll sogar Photos mit solchen Fliegern gezeigt haben ...


2) Die Goldenen Blasen

Die Blasen, die CC im zweiten und vierten Buch während verschiedenen nichtalltäglichen Bewusstseinszuständen wahrnimmt, werden ziemlich obskur beschrieben: Sie hätten keine Hülle aber einen Inhalt, sie seien nicht rund und doch Blasen; im zweiten Buch erlebt sie CC als grünlich in der Farbe, im vierten dagegen spricht er (mit Bezug auf das Erlebnis im zweiten Buch) von goldenen Blasen. Zuweilen wird die rundliche leuchtende Erscheinung auch als Ball, Feuerball oder Feuerkugel beschrieben.

Charakteristisch ist, dass sich diese transparenten Blasen aneinander reihen und auf die eine oder die andere Weise grösser werden: Im zweiten Buch muss CC ihnen folgen, sie festhalten und sie besteigen, um mit ihnen fortzuschweben, was ihm schliesslich gelingt. Im vierten Buch dagegen kommen die Blasen auf ihn zu und hüllen ihn ein. Die Transparenz, die Aneinanderreihung sowie das Näherkommen dieser Blasen sind Hinweise auf die Mouches volantes: Auch da können die Kugeln sowie die Fäden, die teilweise aus aneinander gereihten Kugeln bestehen, in intensiven Bewusstseinszuständen näher rücken.

Andererseits werden diese Blasen auf konkrete Lebewesen bezogen: So sieht CC in einer solchen (geplatzten!) Blase einen Freund von ihm, ein andermal sieht er DJs Freund Genaro. Diese Wahrnehmung passt zum Konzept der Blasen, das im vierten Buch erstmals im Rahmen der „Erklärung der Zauberer“ entworfen wird: Wir Menschen würden in Blasen leben, die sich infolge unserer Sozialisation geschlossen haben und die von innen (durch uns selbst) oder von aussen (durch den Wohltäter) wieder geöffnet werden müssen, um die Ganzheit unserer selbst zu erkennen und die endgültige Freiheit zu erlangen. Dieses Konzept wird beständig ausgebaut und erreicht im siebten Buch (Das Feuer von innen) einen Höhepunkt bezüglich theoretischer Komplexität. Der Begriff „Blase“ wird allmählich durch „leuchtende Eier“ bzw. „Kokons“ abgelöst, womit sich auch die Vorstellung der Form verändert: Haben wir es in den frühen und mittleren Büchern noch vermehrt mit kreisrunden Objekten zu tun, gelten dieselben Objekte später als eher länglich.


3) Leuchtende Eier und Kokons

Neben den Blasen wird bereits im zweiten Buch die von den Sehern gesehene Form des Menschen als leuchtendes Ei beschrieben. Dieser Begriff wird aber nur kurz erwähnt und erst im fünften Buch weiter ausgeführt, wo es heisst, dass nur gewöhnliche Menschen wie Eier aussehen, während Zauberer eine Form von oben und unten abgerundeten Grabsteinen aufweisen würden. Auf diesem Unterschied wird in den folgenden Büchern jedoch nicht beharrt, vielmehr ist nur noch von „Eiern“ und später von „Kokons“ die Rede.

Die Bilder dieser Eier oder Kokons variieren: Im sechsten Buch (Die Kunst des Pirschens) beschreibt CC, dass diese Eier eine äussere, dunklere Hülle und einen inneren gelblich leuchtenden Kern hätten, und dass sie schwebten oder gleiteten. In diesem und anderen Büchern erfahren wir allerdings auch, dass die Eier in der Mitte dunkle Flecken, Dellen oder ein schwarzes Loch aufweisen – was angeblich ein Hinweis auf Energieverlust sei, welcher durch das Zeugen von Kindern entstünde. Beide Beschreibungen treffen auf die konzentrischen Leuchtkugeln der Mouches volantes zu: Auch dort gibt es nachprüfbar zwei Arten, solche mit dunklerer Aussenhülle und hellerem Kern, und umgekehrt, solche mit dunklem Kern und leuchtender Hülle.

Schon im siebten Buch jedoch gewinnt die Vorstellung der leuchtenden und gelöcherten Kokons eine solche Komplexität, dass der Vergleich wiederum schwerfällt: Diese Kokons bestehen aus einer Vielzahl von Fasern (siehe unten) und umschliessen nicht einfach nur einen Kern, sondern ein Bündel von Bändern, genannt die „Emanationen des Adlers“. Neben den bereits erwähnten Flecken, Löcher oder Dellen gibt es eine Spalte in diesem Kokon, die ihre Bedeutung im Zusammenhang mit dem Tod erhält: Nach DJ würde der Tod in Form einer „kreisenden Kraft“ durch diese Spalte eindringen und den Kokon aufbrechen; diese Kraft wird auch „Schwenker“ genannt und als näherkommende Feuerkugel beschrieben – was wiederum für die Mouches volantes sprechen könnte.

Nach DJ weist dieser Kokon im oberen Bereich und üblicherweise auf der Aussenseite einen helleren Fleck oder Punkt auf, den sogenannten „Montagepunkt“, der erst ab dem siebten Buch Erwähnung findet. Durch diesen Punkt gehen eine begrenzte Anzahl von Emanationen-Bändern hindurch. Der Montagepunkt sei für unsere Wahrnehmung der Welt verantwortlich. Aufgrund unserer Eingliederung in die Gesellschaft sei er zwar fixiert, könne durch entsprechende Praktiken jedoch manipuliert, d.h. im Kokon örtlich verschoben werden (entweder durch den Nagual-Schlag oder durch die eigene Absicht), um die Wahrnehmung gänzlich anderer Welten zu ermöglichen.
Die detaillierten Qualitäten und Funktionen des Montagepunktes erschweren den Bezug zu den Mouches volantes: Man könnte den Montagepunkt zwar als helleren Kern auf oder in einem dunkleren Kokon beschreiben, also als eine der zwei Arten von Leuchtkugeln, doch das Konzept eines beweglichen Kerns lässt sich schwerlich mit den Leuchtkugeln der Mouches volantes in Einklang bringen.


4) Die Linien der Welt

Im dritten Buch ist erstmals von den Linien die Welt die Rede. DJ erklärt, dass aus allen Stellen unseres Körpers Linien hervortreten, die uns mit der Welt verbinden; diese Linien könnten gefühlt werden, die dauerhaftesten kämen aus unserer Körpermitte. Nicht-tun ist dabei die Übung um die Welt durch diese Linien zu fühlen. CCs Wahrnehmung der Linien im selben Buch geschieht während er in die tief stehende Sonne blickt. Dies könnte grundsätzlich auf die Leuchtfäden der Mouches volantes hinweisen, welche bei hellen Lichtverhältnissen am besten gesehen werden. Allerdings heisst es auch, dass man mit diesen Linien auf jemanden einwirken könne, und im Buch darauf beginnen die Beschreibungen der Fortbewegung mittels dieser Linien. Der Begriff der „Linie“ ist wie derjenige der „Blase“ ebenfalls nicht konstant: In späteren Büchern werden die Linien von den „Fäden“ und „Fasern“ abgelöst.


5) Fäden, Fasern und Bänder

Die Wahrnehmung von Fäden und Fasern ist ein durchgängiges Thema bei CC. Diese Fäden strahlen ein eigenes Licht aus und werden oft als vibrierend oder zitternd beschrieben. In den meisten Fällen treten die Fasern im Zusammenhang mit dem Sehen eines Menschen als leuchtendes Ei oder Kokon auf: Der Mensch bzw. das leuchtende Ei besteht aus diesen Fasern, und die Fasern erstrecken sich aus der Körpermitte, bzw. der Mitte des Eies. Allerdings können diese Fasern auch unabhängig von der Wahrnehmung leuchtender Kugeln oder Eier auftreten, etwa als CC im dritten Buch eine Bergkette als Netz aus Fasern sieht, oder wenn gesagt wird, dass der ganze Kosmos aus diesen Fasern besteht und wir durch die Fasern mit allem verbunden sind.

Meistens wird „Faser“ gleichbedeutend mit „Faden“ gebraucht; im sechsten und siebten Buch aber wird das Verhältnis geklärt und das Konzept ausgebaut: Ein Faden ist eine dünne Faser, während eine dicke Faser als „Tentakel“ bezeichnet wird. Weiter heisst es, dass ein Mensch seine Fasern durch Interaktion in anderen Menschen zurücklassen kann, sei es zur Heilung des Menschen oder zu einer anders gearteten Manipulation. Im siebten Buch schliesslich ist vermehrt von (faserigen) „Bändern“ die Rede, welche teilweise vom leuchtenden Kokon umschlossen werden. Ein Bündel solcher Bänder werden „Emanationen des Adlers“ genannt, es gebe deren 48, wobei nur ein einziges solches Bündel uns organische Wesen ausmache.

Das Sehen dieser Fasern gibt Aufschluss über den betrachteten Menschen: je dicker, länger und leuchtender die Fasern, desto bewusster und energiereicher sei der Mensch. Diese Fasern haben zudem eine ganz praktische Funktion: Sie dienen der paranormalen Fortbewegung, eine Idee, die ab dem zweiten Buch (Genaros Balanceakt) dominierend wird. Durch diese Fasern kann sich ein Zauberer überall im Gelände festhalten und sich überall hinziehen; er kann also mühelos die Schwerkraft überwinden und fliegen, wobei dies durchaus auch körperlich zu verstehen ist.

Der Bezug zu den Leuchtfäden der Mouches volantes ist hier schwierig, einerseits weil über die konkrete Erscheinung der Fäden nicht viel mehr gesagt wird, als dass sie leuchten und vibrieren, und anderseits aufgrund ihrer fantastischen Funktionen jenseits der blossen Beobachtung (siehe Kapitel 3: Generelle Unterschiede).



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